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Ernennung zum Oberbahnhofsvorsteher
– Oberschlesien, 1925 –

 

 

Den Empfänger wird sie mit Stolz erfüllt haben, die Ernennung zum „Oberbahnhofsvorsteher“ im Jahr 1925. Amtlich und mit Rundstempel ausgestellt von der Reichsbahndirektion in Oppeln. Als bräunlich-vergilbtes Blatt hat das historische Dokument bis heute überdauert.

 

Ernennung zum Oberbahnhofsvorsteher Kreuzburg OS, 1925

 

Damit der wesentliche Teil des Blatts in der Abbildung besser erkennbar ist, wurde hier auf die Wiedergabe einiger weiterer Zeilen verzichtet. In dem Dokument heißt es ganz unten (Schreibmaschinenschrift):

 

   Bestallung
   -------------
   zum Oberbahnhofsvorsteher

   für den Eisenbahnsekretär

   Willi  B i e m a n n

               in  K r e u z b u r g.
               =======================

 

Auffällig in der Ernennung ist die Angabe „Oberschlesische Eisenbahnen“. Was hatte es damit auf sich? Dazu kehren wir in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück.

Folgen des Ersten Weltkriegs

Auf der Friedenskonferenz in Versailles 1919 muss das Deutsche Reich das ihm von den alliierten und assoziierten Mächten vorgelegte Vertragswerk, mit dem die Nachkriegsordnung festgelegt wurde, bedingungslos und nahezu ohne Verhandlungen akzeptieren. Die ursprüngliche Fassung des Vertrags enthält noch die fast vollständige Abtretung Oberschlesiens, das von Polen beansprucht wird. Eine der wenigen Deutschland eingeräumten Konzessionen führt zu einer Modifikation im endgültigen Vertragstext (Artikel 88): Oberschlesien soll zwischen Polen und Deutschland aufgeteilt werden; die Bevölkerung soll in einer Abstimmung erklären, zu welchem der beiden Staaten sie gehören will. Die daraus folgende zukünftige Grenze soll nach geographisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten festgelegt werden.

Die Staatsgewalt in Oberschlesien wird einer interalliierten Kommission übertragen, die am 11.02.1920 ihre Arbeit aufnimmt. Die ihr unterstehenden Truppen sind allerdings so schwach, dass sie zahlreiche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen polnischen Freischaren und deutschen Freikorps nicht unterbinden können. Die Abstimmung folgt unter Kontrolle der Kommission am 21.03.1921. Dabei votieren rund 60 Prozent der Stimmberechtigten für den Verbleib bei Deutschland, vor allem die Bevölkerung der Städte. Eine Mehrheit für Polen gibt es in den Kreisen Kattowitz, Pleß, Rybnik, Tarnowitz, Beuthen, Tost-Gleiwitz und Groß Strehlitz. Über die Art, wie dem Abstimmungsergebnis gemäß Oberschlesien geteilt werden soll (die Teilung selbst war ja schon im Versailler Vertrag festgelegt worden), offenbaren sich nun unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten in der interalliierten Kommission. Die französischen Vertreter möchten Polen den gesamten Südosten zuweisen, während Briten und Italiener den dortigen Industriebezirk bei Deutschland belassen wollen.

Angesichts dieser Entscheidungsunfähigkeit wird das Problem dem Völkerbund vorgelegt. Der Völkerbundsrat beschließt am 12.10.1921 [andere Angabe: 19.10.1921], dass Polen und Deutschland je einen Anteil an der Gesamtbevölkerung Oberschlesiens erhalten, der proportional den jeweils abgegebenen Stimmen entspricht.

Dementsprechend übergibt der Oberste Rat der Alliierten am 20.07.1922 den südöstlichen Teil Oberschlesiens an Polen. Es handelt sich um die bisherigen Kreise Kattowitz, Königshütte, Pleß, Rybnik sowie Teile der Kreise Tarnowitz, Beuthen, Hindenburg, Ratibor und Lublinitz. Im übrigen Teil des Abstimmungsgebiets hatte bereits am 09.07.1922 die deutsche Verwaltung begonnen.

Gemeinsame Verwaltung

Die Grenze durchschneidet nun ein dicht besiedeltes, vorwiegend durch Industrie geprägtes Gebiet, das bislang eine wirtschaftliche Einheit bildete. Der Völkerbund hatte in seiner Entscheidung vom Oktober 1921 eine Vereinbarung empfohlen, mit der für eine Übergangszeit auch unter den neuen Bedingungen wirtschaftliche Kontinuität in Oberschlesien bewahrt werden konnte.

Diese Vereinbarung wird zwischen Polen und dem Deutschen Reich am 15.05.1922 als „Genfer Konvention über Oberschlesien“ geschlossen. Sie regelt die Rechtsstellung von Personen und Eigentum, die in der Folge des Versailler Vertrags der polnischen Hoheit unterstellt wurden.

Die Konvention sieht drei Zeitabschnitte des Übergangs vor. Der erste dauert sechs Monate, in denen der Grenzverkehr zwischen deutschem Oberschlesien und jetzt polnischem Górny Slask nahezu ohne Einschränkung möglich ist. In der zweiten Phase von drei Jahren (gerechnet vom 15.05.1922 an) soll der Warenverkehr zwischen beiden Gebieten besonderen, allerdings nur geringfügig eingreifenden Bestimmungen unterliegen. Der dritte Übergangszeitraum soll 15 Jahre umfassen, der gesamten Laufzeit der Konvention. Vorgesehen sind dafür zwar einige weitere Einschränkungen, die aber denen an anderen damaligen Staatsgrenzen bei weitem nicht gleichkommen. So ist während der 15 Jahre zollfreie Ein- und Ausfuhr von Kohle sowie anderen Rohstoffen und Produkten zwischen beiden Gebieten möglich. Alle Bewohner mit ständigem Wohnsitz in dem einen oder anderen Teil Oberschlesiens dürfen mit besonderem Passierschein die Grenze ohne weitere Formalitäten überschreiten. Eine gemischte Kommission und ein Schiedsgericht wachen über die Einhaltung dieser Bestimmungen.

Als die Laufzeit der Konvention endet, verlängert man sie nicht mehr; beide Staaten kündigten jedoch an, ihre gemeinsamen Angelegenheiten bilateral regeln zu wollen. Der Rest ist bekannt: Am 01.09.1939 überfällt Deutschland Polen und löst damit den Zweiten Weltkrieg aus. Unter anderem der polnische Teil Oberschlesiens wird umgehend annektiert. 1945 kommt das gesamte schlesische Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie an Polen.

Eisenbahn

Am 01.04.1920 gehen die vormaligen Länderbahnen (Preußen, Hessen, Baden, Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Sachsen, Württemberg) in der Deutschen Reichsbahn auf, der entsprechende Staatsvertrag wird am 30.04.1920 zum Reichsgesetz erhoben. Wegen der Abtretung des östlichen Oberschlesiens wird die Eisenbahndirektion Kattowitz im Oktober 1921 aufgelöst und für ihre bei Deutschland verbliebenen Teile die Direktion Oppeln errichtet (seit 07.1922: Rbd = Reichsbahndirektion Oppeln).

Die Eisenbahnen im östlichen Teil Oberschlesiens werden am 18.06.1922 um 6.00 Uhr an die polnischen Staatsbahnen (Polskie koleje Panstwowe = PKP) übergegeben. Diese Strecken weisen eine Länge von 619 Kilometern auf. Außerdem wechseln zahlreiche preußische Lokomotiven und Waggons zur Direktion Katowice.

Nach der Genfer Konvention vom 15.05.1922 werden der Eisenbahn- und Straßenbahnverkehr beider Teile Oberschlesiens von einer besonderen Behörde verwaltet. Für die Eisenbahnen ist ein Oberkomitee in Beuthen zuständig, dem je eine deutsche und polnische Direktion unterstehen, nämlich Oppeln und Katowice. Fahrzeuge beider Direktionen werden in einem gemeinsamen Park eingesetzt. Diese staatenübergreifende Verwaltung heißt „Oberschlesische Eisenbahnen“.

Damit sind wir bei der oben wiedergegebenen Ernennung zum Oberbahnhofsvorsteher angekommen, bei der Angabe „Oberschlesische Eisenbahnen“.

Die „alte“ Oberschlesische Eisenbahn

Die Bezeichnung „Oberschlesische Eisenbahnen“ erinnert an ein historisches Unternehmen des 19. Jahrhunderts. Bereits 1836 hatte sich nämlich die private Oberschlesische Eisenbahn-Aktiengesellschaft (OSE) konstituiert. Ihre erste Strecke eröffnete sie am 22.05.1842 zwischen Breslau und Ohlau. Verwaltung und Betriebsführung der OSE wurden am 01.01.1857 durch den preußischen Staat übernommen. Seit dem 24.01.1884 war dafür die Königliche Direktion der Oberschlesischen Eisenbahnen zuständig (rückwirkend zum 01.01.1883). Den Schlussstrich unter die OSE zog man am 01.07.1886, als sie in das Eigentum des preußischen Staats überging.

 

Willy Biemann

Berufliche Stationen von Willy Biemann (Schreibweise des Vornamens oft „Willi“ – so auch in dem oben gezeigten Dokument) in überlieferten Stichtagen:

 

28.03.1902 geboren in Halle/Saale
04.11.1925 Kreuzburg O. S. (wird Oberbahnhofsvorsteher; zuvor Eisenbahnsekretär)
1926 Bitterfeld (Oberbahnhofsvorsteher)
1932 Wittenberg
1934 Halle/Saale
1939 Danzig
1941 Halle/Saale (wird als Reichsbahninspektor krankheitsbedingt in den Ruhestand versetzt)
12.06.1956 gestorben in Halle/Saale

 

Porträtfoto Willy Biemann   Reichsbahninspektor Willy Biemann, aufgenommen 1940 in Halle/Saale.

 

 

Heutige geographische Bezeichnungen

 

Beuthen O. S. [Stadt] Bytom
Beuthen-Tarnowitz [Landkreis] -/-
Breslau [Stadt] Wroclaw
Danzig [Stadt] Gdansk
Groß Strehlitz [Stadt] Strzelce Opolskie
Hindenburg O. S. [Stadt] Zabrze [Name auch bis 1915 gültig]
Kattowitz [Stadt] Katovice
Königshütte [Stadt] Chorzów
Kreuzburg O. S. [Stadt] Kluczbork
Lublinitz [Stadt] Lubliniec
Oberschlesien Górny Slask
Ohlau [Stadt] Olawa
Oppeln [Stadt] Opole
Pleß [Stadt] Pszczyna
Ratibor [Stadt] Racibórz
Rybnik [Stadt] Rybnik
Schlesien Slask
Tost [Stadt] Toszek
Tost-Gleiwitz [Landkreis] -/- [Gleiwitz = Gliwice]

Anmerkung: Einige polnische Sonderzeichen sind in html leider nicht problemlos darstellbar; sie wurden daher in entsprechende andere Zeichen umgesetzt.

 

Literatur

Hier nur eisenbahnbezogene Angaben (Auswahl)

  • Bufe, Siegfried: Eisenbahnen in Schlesien. Egglham (Bufe-Fachbuch-Verlag) 1993. Seiten 7, 47 f.
  • Hütter, Ingo; Pieper, Oskar: Gesamtverzeichnis deutscher Lokomotiven. Teil 1, Preußen bis 1906. Band 2. – O. O. [Aachen] (Verlag Schweers + Wall) 1996. Seiten 375 f.
  • Wenzel, Hansjürgen: Die preußische P 8 – Die Baureihe 38.10. Freiburg (EK-Verlag) 1994. Seite 193.

 

Autor dieses Beitrags: Joachim Biemann
Scans: G. Biemann
Biographische Recherche zu Willy Biemann: G. Biemann
Online: 02.06.2002
html-Status: 05.06.2010

 

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